Was es ist
Es ist Unsinn
sagt die Vernunft
Es ist was es ist
sagt die Liebe
Es ist Unglück
sagt die Berechnung
Es ist nichts als Schmerz
sagt die Angst
Es ist aussichtslos
sagt die Einsicht
Es ist was es ist
sagt die Liebe
Es ist lächerlich
sagt der Stolz
Es ist leichtsinnig
sagt die Vorsicht
Es ist unmöglich
sagt die Erfahrung
Es ist was es ist
sagt die Liebe
Erich Fried
Der gewöhnliche Mensch
sieht alles im Leben entweder
als Segen oder Fluch,
während
der Krieger mit Herz
alles als Herausforderung nimmt.
Verloren in Verzweiflung oder Jubel
sehen wir die Zyklen nicht,
die den Teppich
unseres Lebens weben...
C. Feldmann/J. Kornfeld
Rien n'est douloureux
comme de faire du mal à
aux que l'on aime.
Jacques Chardonne
Anrufung
Wurzel und Staunen der Freiheit
Schutzgöttin meiner Kinder
Unzufriedenheit
bleibe mir immer im Herzen
Ich will dich umarmen
vor dem Einschlafen und beim Erwachen
Ich will dich lieb haben
weil ich mich und andere liebe
weil ich die Menschen
und weil ich das Leben liebe
will ich dir treu sein
und will deiner würdig sein
Unzufriedenheit
Helferin auf meinem Wegen
wenn mich alle verlassen
verlass du mich nicht!
Erich Fried
Freunde
Wenn mich dunkle Wolken betrüben,
kann ich sie nicht immer verscheuchen.
Aber ich kann mich
irgendwo unterstellen,
damit ich nicht
total durchnässt werde
vom Regen.
Kristiane Allert-Wybranietz
Hätten die Nüchternen
einmal gekostet,
alles verließen sie und
setzten sich zu uns
an den Tisch der Sehnsucht,
der nie leer wird.
Psychosomatisch erkrankt
oder
ein eigentlich begrüßenswertes Unglück
Die alten Schienen,
die ich schon lange Jahre befuhr,
waren mir vertraut,
doch meine Fahrtroute nie.
Sie stand im Fahrplan meiner Erzieher.
Trotzdem wagte ich mich nicht
von diesen wohlbekannten Schienen,
bis sich entgleiste.
Jetzt lege ich
meinen eigenen
Schwellen und Schienen -
mühsam
von Station zu Station
Kristiane Allert-Wybranietz
Ich habe es satt
Ich habe es satt
auch keine Schande zu bereiten
hinterher zu laufen
nicht dumm zu fragen
alles richtig zu machen
ein freundliches Gesicht aufzusetzen
mich zusammenzunehmen
euch allen zu genügen
nur mir nicht
Le cerveau humain,
drôle de machine;
on ne sait jamais
ce qu'il va produire.
Jacques Chardonne
EINSAMKEIT
Einsam fühle ich mich dann,
wenn ich eine Hand suche
und nur
Fäuste finde
Kristiane Allert-Wybranietz
Rückblickend
Als wir früher
Verstecken spielten,
dachten wir nicht daran,
dass dies eine Vorübung sein könnte.
Wir hatten Spaß am dem Spiel,
das heute Ernst geworden ist
und soviel Wut und Leid erzeugt.
So mancher bucht noch immer
und renn umher
und sucht.
Andere haben sich so gut versteckt,
dass sie sich selbst
nicht mehr finden.
Kristiane Allert-Wybranietz
Fabeln
"Die Schönheit war einmal zu Gast
bei der Hässlichkeit
Da kam sie sich hässlich vor
weil sie ihr nicht helfen konnte
schön wie sie selbst zu sein"
Doch man erzählt auch:
"Die Hässlichkeit
war zu Gast bei der Schönheit
Da fühlte sie sich so wohl
dass sie gar nicht mehr hässlich war"
Beides werde ich glauben
wenn in allen Ländern
der Hunger
so oft bei der Sattheit zu Gast ist
dass es ihn nicht mehr gibt
Aber mich hat ein Kind gefragt:
"Stillt dann die Sattheit
dem Hunger den Hunger
oder frisst sie ihn auf?"
Erich Fried
Wem nichts mehr
auffällt,
dem fällt auch
nichts mehr ein
Helmut Walters
Abschied
Das Gute
fliegt jetzt davon
dorthin
wo alles
nicht immer
in die Vergangenheit fällt
sondern täglich
auf-
und untergeht
wie die Sonne
Erich Fried
Tränen
sind wie Regen,
der auf trockenes
Land fällt
Die Warner
Wenn Leute dir sagen:
"Kümmere dich nicht
soviel um dich selbst"
dann sieh dir die Leute an
die dir das sagen
An ihnen kannst du erkennen
wie das ist
wenn einer sich nicht genug
um sich selbst gekümmert hat
Erich Fried
Un-Wille
Ein Gefühl
wie tot zu sein
ausgestoßen
unerwünscht
fehl am Platz
überflüssig.
Das Leben läuft weiter ohne mich
ich werde nicht gebraucht.
Man geht an mir vorüber
ich bin durchsichtig
uninteressant
unnütz
aber oft will ich es gar nicht anders.
Versuch sich anzupassen
Ich soll mich drein fügen
und nicht fragen
warum ich das soll
und ich soll nicht fragen
warum ich nicht fragen soll
Erich Fried
Im Weg
Eines Morgens beschloss ich
ich selbst zu sein
aber als ich in meine Haut
schlüpfen wollte
verklemmte sich der Reißverschluss
Gabi Walter
Aufhebung
Sein Unglück
ausatmen können
tief ausatmen
so dass man wieder
tief einatmen kann
Und vielleicht auch sein Unglück
sagen können
in Worten
in wirklichen Worten
die zusammenhängen
und Sinn haben
und die man selbst noch
verstehen kann
und die vielleicht sogar
irgendwer sonst versteht
oder verstehen könnte
Und weinen können
Das wäre schon
fast wieder
Glück
Erich Fried
Verblendung
Aber all meine Gedanken
schwirren um mein Ich
in Träumen
seh' ich mich selbst
doch wach ich auf
ist
der Traum vorbei
Ich schau in den Spiegel
und
sehe mich
Nein!
Ich sehe mein Gesicht
meine Haare, meinen Körper
aber
wo ist mein Ich?
Die Angst in mir steigt
und zwingt mich beinah
zu schreien
meine
Seele will lieben
meine Augen vertrauen
aber
ich suche im Nichts
ich schaue nach vorne
schaue nach hinten
doch ich sehe nichts
weil ich so verblendet bin
dass ich mein Ich hinter einer
Fassade verloren habe.
Paola Vujevic
Phantasie
In Tagträumen blüht sie wie ein Löwenzahnfeld.
Sie baut Luftschlösser.
Sie befreit und befriedigt die Seele.
Wenn man sie entdeckt
eröffnen sich einem
ganz neue Welten und Sphären.
Man macht Ausflüge ins Paradies.
Ute Geyhalter
Lob der Verzweiflung
Es ist ein verzweifeltes Tun
die Verzweiflung herunterzumachen
denn die Verzweiflung macht unser Leben zu dem was es ist
Sie denkt das aus
vor dem wir Ausflüchte suchen
Sie sieht dem ins Gesicht
vor dem wir die Augen verschließen
Keiner der weniger oberflächlich wäre als sie
Keiner der bessere Argumente hätte als sie
Keiner der in Erwägung all dessen
was sie und wir wissen
mehr Recht darauf hätte als sie
so zu sein wie sie ist
Früh am Morgen fühlt sie sich fast noch glücklich
Erst langsam erkennt sie sich selbst
Nach den ersten Worten
die sie mit irgendwem beginnt zu wissen:
sie ist nicht froh
sie ist immer noch sie selbst
Die Verzweiflung ist nicht frei von Launen und Schwächen
Ob ihr Witz eine Stärke oder eine Schwäche ist
weiß sie selbst nicht
Sie kann zornig sein
sie kann bissig und ungerecht sein
sie kann zu besorgt sein um ihre eigene Würde
Aber ohne den Mut der Verzweiflung wäre vielleicht
noch weniger Würde zu finden
noch weniger Ehrlichkeit
noch weniger Stolz der Ohnmacht gegen die Macht
Es ist ungerecht die Verzweiflung zu verdammen
Ohne Verzweiflung müssten wie alle verzweifeln
Erich Fried
Zuflucht
Manchmal suche ich Zuflucht
bei dir
vor dir und vor mir
vor dem Zorn auf dich
vor der Ungeduld
vor der Ermüdung
vor meinem Leben
das Hoffnungen abstreift
wie der Tod
Ich suche Schutz
bei dir
vor der zu ruhigen Ruhe
Ich suche bei dir
meine Schwäche
Die soll mir zu Hilfe kommen
gegen die Kraft
die ich
nicht haben will
Erich Fried
Wie eine Blume
wächst aus meinem Innern
die tiefe Stille.
Glitzernde Tropfen
im Morgenlicht der Sonne
beim Niederfallen.
Wie Eidechsenhaut
streift man Vergangenheit ab
im Frühlingsschein.
G. Klinge
Suchaktion
Zuletzt
sucht wieder
nur noch
die Lüge
die Wahrheit
geduldig
bei Tag
und bei Nacht
um sie
beiseite zu schaffen
Erich Fried
Sterntaler
Warum hast du Angst
dich zu verlieren?
Je wehrloser du dich
hingibst und öffnest
desto mehr wirst du
leuchten
und dir immer wieder
als dein eigener
Sterntaler
in den Schoß fallen
Jörn Pfennig
Zwischengedanken
Weil es
menschliche Beziehungen gab
musste es Menschen geben
Nun gibt es zwischenmenschliche
Beziehungen
die lassen auf das Dasein von Zwischenmenschen schließen
Es muss aber auch
Zwischenmenschen geben
die dafür sorgen
dass die zwischenmenschlichen Beziehungen
so unmenschlich sind
Erich Fried
Das Leben ist wie ein Schlüsselloch.
Du stehst schweigend davor.
Du kannst nur einen kleinen Ausschnitt sehen,
und doch ahnst du,
es kommt noch Größeres,
aber wie du dich auch anstrengen magst,
du wirst erst mehr verstehen,
wenn du die Türe öffnest.
Und dann wirst du vor der nächsten Türe stehen.
Angst und Zweifel
Zweifle nicht
an dem
der dir sagt
er hat Angst
aber hab Angst
vor dem
der dir sagt
er kennt keine Zweifel
Erich Fried
Die Biene,
die den Nektar der Blüte sammelte,
sagte zu dieser:
"Wie kommt es, dass du für mich blühst
und ich so mein Leben an dir habe?"
Die Blüte antwortete:
"Weil nur du es bist,
die aus der Blüte die Frucht werden lässt
aus dem Nordischen
Wo lernen wir?
Wo lernen wir leben
und wo lernen wir lernen
und wo vergessen
um nicht nur Erlerntes zu leben?
Wo lernen wir klug genug sein
die Fragen zu meiden
die unsere Liebe nicht einträchtig machten
und wo
lernen wir ehrlich genug sein
trotz unserer Liebe
und unserer Liebe zuliebe
die Fragen nicht zu meiden?
Wo lernen wir
uns gegen die Wirklichkeit zu wehren
die uns um unserer Freiheit
betrügen will
und wo lernen wir träumen
und wach sein für unsere Träume
damit etwas von ihnen
unsere Wirklichkeit wird?
Erich Fried
Auf der Flucht
Du bist auf der Flucht
Angst und Hoffnung deine Schritte,
kalter Wind im Rücken.
Du suchst goldene Tage,
sorglose Nächte,
du suchst und suchst
und flüchtest von dir zu dir
Ingrid Springorum
Hoffnung
Weil es so früh dunkel ist,
zünde ich alle Lampen
im Haus an.
Weil es draußen so dunkel ist,
möchte ich die Gesichter der Menschen
zum Leuchten bringen.
Ich zünde ein Licht an
in meinem Herzen
und trage es zu ihnen herüber.
Jutta Miller-Waldner
Dass wir wieder werden wie Kinder,
ist eine unerfüllbare Forderung.
Aber wir können zu verhüten versuchen,
dass die Kinder so werden wie wir.
Erich Kästner
Blickkontakte
Da fängt es an zwischen zwei Augenpaaren,
baut eine Brücke.
Wenn wir uns weiter umschauen,
kann es sich fortsetzen,
eine Kette bilden,
Verbindungen schaffen
von einem zum anderen.
Wenn Augen sprechen,
können sich Herzen öffnen,
Hände Halt geben,
Funken überspringen,
Wärme entstehen.
Und Sehnsucht -
und der Wunsch
aufeinander zugehen
Ingeborg Nimwegen
Ein Erzieher kann nur sein,
wer sich in das kindliche Seelenleben einfühlen kann,
und wir Erwachsenen verstehen die Kinder nicht.
weil wir unsere eigene Kindheit
nicht mehr verstehen.
Sigmund Freud
In den Augen eines Kindes
spiegelt sich die Welt
in ihrem schönsten Gesicht.
Ein Freund, der mir den Spiegel zeigt,
den kleinsten Flecken nicht verschweigt,
mich freundlich warnt,
mich herzlich schilt,
wenn ich nicht meine Pflicht erfüllt:
Der ist mein Freund
Christian Fürchtegott Gellert
Wie die Silbervögel im Glastau der Nacht
das Gefieder an den Fluss legen,
so lege ich meine Kleider auf den unendlichen Mondstrahlen
und erhebe mich,
um endlich mit den Füßen die Erde zu verlassen
Leicht gesagt
Wenn man begriffen hat,
dass Lieben wichtiger ist
als geliebt werden
ergibt sich das Geliebtwerden
ganz von selbst!
Jörn Pfennig